Leo

Leopoldine

war, wie die meisten meiner Tiere, nicht gewollt oder geplant, sondern einfach unumgänglich. Ich arbeitete damals noch an den Wochenenden auf einem Reiterhof als Reitlehrerin. Keine der dortigen Katzen war kastriert, und somit gab es natürlich ständig süße Katzenbabys. Die Mentalität der Landleute ist auch heute noch häufig so, das die Katzen sich selbst überlassen werden - ganz nach der Natur. Das bedeutet, sie sehen niemals einen Tierarzt, werden weder kastriert noch geimpft und wer krank und schwach ist, der muß halt sterben.

Leo Leo war so ein kranker Schwächling.
Sie wurde am Himmelfahrtstag auf dem Strohboden der alten Schafscheune zusammen mit 3 Geschwistern geboren. Ihre Mutter zeigt mir stolz die nackten, die Augen noch geschlossen Babys. Sie wuchsen "ganz normal" heran, und einer ist halt immer der Kleinste und Schwächst, in diesem Fall der kleine Tiger mit der roten Blässe, dem weißem Latz und den 4 weißen Pfoten.

Leo Als sie drei Monate alt war, hatte sie die Größe eines vier Wochen jungen Babys, Katzenschnupfen, Würmer und Durchfall und wurde von ihren stärkeren Geschwistern nur noch verdrängt. Wir saßen bei strahlendem Sonnenschein auf der Terrasse beim Grillen und schlugen uns fröhlich die Bäuche voll mit Leckerein. Ein paar Stückchen Fleisch und Bratwurst flogen natürlich auch auf's Dach, wo die Katzenmutter mit ihren Kindern saß - aber Leo bekam wie immer nichts ab.


Leo Als wir mit dem Grillen fertig waren, kam Leo herunter, setzte sich auf den noch warmen Grill und versuchte von Grillrost angebrannte Fleischreste abzuknabbern. Der Anblick dieses kranken und halb verhungerten Katzenkindes war einfach zu viel für mich und ich nahm Leo mit nach Hause.

Gleich Montag ging ich mit Ihr zum Tierarzt. Der fragte :"Wie alt ist diese Häufchen Elend?" "Drei Monate" antwortete ich. "Sind sie da ganz sicher? Na, dann wird es nichts mehr, wir können sie nur noch einschläfern!" Ich war schockiert :"Nein, das kommt nicht in Frage! Es macht ja nichts, wenn sie klein und geistig zurückgeblieben bleibt, Hauptsache sie fühlt sich wohl." Der Tierarzt sah mich erstaunt an und meinte :"Gut, wenn sie es probieren möchten .... aber dann müssen sie sich einen anderen Namen ausdenken, denn Ihr Kater Leo ist eindeutig eine Katze!"

So kam Leo zu dem Namen Leopoldine. Sie bekam Antibiotika und mußte täglich 3 x Inhalieren. In der Anfangszeit war es ein echtes Trauerspiel mit ihr. Den ganzen Tag saß sie zusammengekauert auf der Fensterbank hinter den Blumentöpfen versteckt und kam nur raus, wenn es was zu Futtern gab. Sie ähnelte mehr einem kleinen Igel als einer Katze - ganz kurze unterentwickelte Beinchen und dazu ein dicker Trommelbauch.

Leo Ihre Halbschwester Ayesha, die ihr körperlich und geistig weit überlegen war, putzte unser Problemkind zusätzlich noch ganz schön runter. Weil Leo viel zu ängstlich und dümmlich zum Spielen war, bezog sie von Ayesha regelmäßig Prügel - frei nach dem Motto : Wer nicht Spielen will kriegt Haue!

Leo erholte sich langsam von ihren Krankheiten und wuchs heran. Nur geistig blieb sie wie ein zurückgebliebenes Kind. Sie lernte sehr langsam und fand sich ausnehmend schlecht zurecht. Aufs Katzenklo zu gehen lernte sie nie, denn Ayesha fand es ausgesprochen lustig, dabei mit Leo's Schwanz zu spielen. So lernte Leo, das man auf dem Katzklo nie in Ruhe sein Geschäft verrichten kann und ließ es so für immer bleiben!

Leo und Ayesha Da die beiden Mädels noch recht klein waren, dürften sie noch nicht alleine raus. So ging ich jeden Nachmittag mit den Beiden auf den Hinterhof zum Spielen, damit sie sich langsam an das Leben draußen gewöhnen konnten. Ayesha entwickelte sich prächtig, während Leo das ängstliche "Dummchen" blieb.


Eines nachts kam der Nachbarskater Garb vorbei und setzte sich auf das Fenstersims vom Schlafzimmer und schaute neugierig hinein. Leo bemerke ihn und war Feuer und Flamme. Die Beiden saßen durch die Fensterscheibe getrennt da und Maunzten und Kasperten ohne Ende - Leo hatte sich verliebt, und ganz offensichtlich wurden ihre Gefühle erwidert. Das war so süß, dass ich ihnen einfach erlauben mußte, rauszugehen.


Leo, Ayesha und Grab spielten vergnügt zusammen auf dem Hinterhof. Nach einer Weile wollte Garb seine Runde durch die Hinterhöfe drehen und sprang über den 130 cm hohen Holzzaun. Ayesha ihm nach. Leo saß völlig verzweifelt vor dem hohen Zaun und traute sich nicht, darüber zu springen. Sie weinte so kläglich, dass es mir fast das Herz brach. Plötzlich kam Ayesha zurück und zeigte ihrer kleinen Schwester ein Loch im Zaun, durch das Leo schlüpfen konnte, um mit ihrer Schwester und ihrer großen Liebe auf die Pirsch zu gehen. Ich beobachtete dies alles vom Schlafzimmerfenster aus und war zu Tränen gerührt. Nie hätte ich bei einer Katze ein so ausgeprägtes Sozialverhalten vermutet.

Leo Von diesem Tage an dürften Leo und Ayesha raus und reingehen, wie es ihnen beliebt, denn ich wusste nun, Ayesha würde auf Leo aufpassen. Ayesha war die intelligenteste Katze, die ich je gekannt habe. Sie war so verständig und selbstbewusst, dass sie mich täglich aufs Neue überraschte. Leo hingegen blieb ein kleines Baby im Körper einer Erwachsenen Katze. Sie hat nie geknurrt, gefaucht oder gar gekratzt. Mäuse fangen war für sie nie ein Thema, aber das fand ich natürlich sehr positiv.

Leo Die Jahre vergingen ...
Eines Tages musste ich für eine Woche ins Krankenhaus. Da Leo nicht in einer Wohnung eingesperrt sein konnte (wie gesagt, sie benutzt kein Katzenklo) wollte ich die Mädels einfach zuhause lassen und die Nachbarin bitten, sie zu füttern. Aber es kam ganz anders.


Sonntag Nachmittag klingelte es plötzlich an der Wohnungstür. Eine alte Frau, die schräg gegenüber wohnte, schrie mich an, als ich die Tür öffnete. "Ich habe mit meinem Anwalt gesprochen. Ich werde ihre Katzen vergiften und sie können nichts dagegen tun. Ich legte jetzt vergiftete Köder aus!" Was wollte diese Frau von mir ? Meine kleinen Engel vergiften - ich verstand die Welt nicht mehr! Sie keifte und war völlig außer sich. Ich versuchte sie zu beruhigen und zu erfahren, worum es überhaupt geht. Nach langem zetern erzählte sie mir, das meine Katzen in ihren wunderschönen Blumenbeeten die frisch gesetzten Pflanzen ausgraben und in dem Loch ihr Geschäft verrichten würden.

Leo Das sie über dieses Verhalten meiner Katzen nicht gerade begeistert war, konnte ich natürlich verstehen. Also ging ich mit ihr, um den Schaden zu begutachten. Den ganzen Weg über schrie sie mich an und beschimpfte mich aufs übelste. Ich solle meine Katzen gefälligst bei uns im Hinterhof anpflocken, wenn ich sie nicht so erziehen könne, das sie unseren Hinterhof nicht verlassen und so weiter und so weiter...

Was ich dann zu sehen bekam, war ein dreckiger Hinterhof der halb umgegraben war und in diesem Acker standen ganze 4 Stiefmütterchen. Jetzt platzte mir der Geduldsfaden und ich schrie zurück. Tja, mit diesem Wutausbruch hatte ich jegliche Chance auf eine gütliche Einigung vermasselt. Ich ließ sie also stehen und ging von ihrem Gekreische begleitet nach Hause. Nun war guter Rat teuer.



Morgen sollte ich ins Krankenhaus und in der Wohnung konnte ich die Katzen nicht einsperren. Sie weiterhin raus zu lassen, war mir zu gefährlich - wenn der Drachen nun ernst machen sollte ? Fieberhaft sann ich nach einer Sofortlösung.

Der einzige Ausweg war der Reiterhof, auf dem Leo und Ayesha geboren waren. Ich hatte die Mädels früher oft am Wochenende mitgenommen, wenn ich dort gearbeitet hatte. Allerdings waren sie nun schon 3 Jahre nicht mehr dort gewesen, ob sie sich auf dem Reiterhof noch zurecht finden würden ? Leider fiel mir keine Alternative ein. Also schnappe ich mir die Katzen und fuhr nach Schneeren.

Leo und Ayesha waren nicht gerade begeistert von meiner Idee. Aber was hätte ich so kurzfristig anders tun können ? Nun muss ich vielleicht noch dazu sagen, dass ich selber in einer äußerst schlechten psychischen und physischen Verfassung war und mich die Situation völlig überforderte. Also sagte ich meinen Lieblingen, sie mögen doch bitte eine Woche auf dem Reiterhof bleiben, bis ich wieder aus dem Krankenhaus komme, und mir eine andere Lösung einfallen lassen kann.

Leo war so schlau und blieb auf dem Hof, Ayesha nicht. Sie machte sich sofort, nachdem ich gefahren war, auf den Weg nach Hause (35 km). Leider kam sie dort niemals an. Nach meinem Krankenhausaufenthalt suchte ich den ganzen Schneerener Raum ab - aber ohne Erfolg! Wir haben von Ayesha nur noch das Halsband gefunden. Sie hatte es sich noch auf dem Hof abgestreift, von ihr selber haben wir nie wieder etwas gehört
... und das alles wegen ein paar alberner Blumen....


Leo hatte sich in Schneeren sehr verändert. Die anderen Katzen versuchten sie zu verjagen und ließen sie nicht ans Futter ran. Leo versteckte sich im Dachgebälk und musste lernen, Mäuse zu fangen und selbstständig zu werden. Ich traute mich nicht, Leo nach Hause zu holen, denn ich hatte noch immer Angst vor den Drohungen der alten Frau. Also besuchte ich sie täglich in Schneeren, doch das konnte beim besten Willen kein Dauerzustand sein. Leo fühlte sich auf dem Reiterhof alles andere als wohl, denn sie wurde nicht in das dortige Katzenrudel aufgenommen sondern kassierte nur Schläge und Ablehnung.
Was tun?
Ich setzte mich hin und schrieb einen echten "drück auf die Tränendrüsen Brief" an den bösen Drachen. Hierin erzählte ich ihr, dass sie meine Ayesha auf dem Gewissen habe und nun das Leben von Leo in ihrer Hand lege. Zusätzlich steckte ich noch einen 50,- DM Schein für ihre ollen Blumen in den Umschlag und warf den Brief in ihren Briefkasten.

Ihre Reaktion übertraf meine kühnsten Erwartungen. Am nächsten Tag stand sie mit einem Strauß weißer Tulpen in der Hand vor meiner Tür , gab mir 20,- DM wieder, mit den Worten, soviel hätte sie nicht für den Schaden benötigt und ich könne meine letzte Katze beruhigt wieder nach Hause holen, sie würde sie nicht vergiften.

Warum bin ich Oberesel nicht gleich auf die Idee gekommen, ihr Geld anzubieten? Wegen lächerlicher 30,- DM habe ich nun die intelligenteste Katze verloren, die diese Welt je gekannt hatte. Zwar freute ich mich riesig, dass ich meine Leokatze nun endlich wieder nach Hause holen konnte, aber für den überaus schmerzvollen Verlust meiner Ayesha hätte ich die Alte glatt erschießen können.

... und das alles wegen 30,- DM - warum hat sie nicht gleich gesagt, dass sie einfach nur ihre Blumen ersetzt haben möchte? So hat die weltbeste Katze ihr Leben verloren, weil zwei Menschen überreagiert haben.

Leo war wie ausgewechselt, als ich sie nach Hause holte. Ich wusste zwar schon aus früheren Situationen, dass Leo sich mehr freuen kann, als der berühmte Schneekönig, aber diesmal konnte sie sich 3 Tage lang überhaupt nicht mehr beruhigen vor Freude.

Sie war in den 3 Wochen, in denen sie sich in Schneeren gegen andere Katzen verteidigen, Futter jagen und ums nackte Überleben kämpfen musste, deutlich erwachsener geworden. Sie war nicht mehr das zu groß gewordene Baby, sie hatte jetzt zum ersten Mal eigene, klare Vorstellungen von ihrem Leben.

Heute ist Leo eine begnadete Jägerin, die anhänglichste, menschenbezogenste und durchsetzungsfähigste Katze, die man sich vorstellen kann.

Sie knurrt, faucht und kratzt immer noch nicht, aber sie weiß genau was sie will, und wie sie es bekommt. Sie schafft es beispielsweise immer, uns dazu zu bringen, mit ihr spazieren zu gehen (und das täglich um Punkt 21:30 Uhr). Auch wenn sie Tag und Nacht raus und rein gehen kann, wann immer sie möchte, ist es ihr sehr wichtig, das wir abends mit ihr einen gemeinsamen Spaziergang machen.

Ich glaube, über Leo könnte ich ganze Romane schreiben, aber ich möchte ihre Geschichte an dieser Stelle mit einem Wunsch beenden:

Die älteste Katze der Welt ist 35 Jahre alt geworden -
Leo, bitte schlage diesen Rekord!