Devon Ennis

war ein Ex-Jagdpferd, ein englischer Vollblüter, wie er im Buche steht.

Ich trat in sein Leben in Verbindung mit einem wahrhaft einschneidenden Ereignis. Er war 12 Jahre alt und wurde erst jetzt gelegt. Seine Besitzerin fand zwar sein hengstiges Verhalten sehr attraktiv, aber nun wurde es ihr doch zu gefährlich. Devon Ennis ging mit gefletschten Zähnen auf jeden los, der es wagte, seine Box zu betreten.


Am Tag seiner Kastration war ich im Stall und seine Besitzerin Lummi fragte mich, ob ich die nächsten 3 Tage Zeit hätte, ihn stundenlang spazieren zu führen. Der Tierarzt hatte dies verordnet, damit die Wunde nicht von außen nach innen zuwächst und sich dadurch Entzündungsherde bilden. Durch viel Bewegung im Schritt würde der Schnitt langsam von innen nach außen zuwachsen, darum sei Bewegung für ihn jetzt sehr wichtig.

Ich war begeistert von der Idee, mich um dieses wunderschöne Pferd kümmern zu dürfen. Also verbrachten Devon Ennis und ich die nächsten Tage mit ausgedehnten Spaziergängen durch den Wald. In diesen Tagen wurde der Grundstein für eine solide, vertrauensvolle und tiefe Beziehung zwischen uns gelegt.

Schnell erkannte ich, dass Enni nicht das bösartige Monster war, für das ihn alle hielten. Er litt einfach nur unter einem "Boxenkoller". Versetzen wir uns mal in das Leben dieses Pferdes: Er steht in seiner gemauerten Box von 3 x 3 m, kann durch die sehr eng stehenden dicken Gitterstäbe der Tür kaum sehen, was auf der Stallgasse vor sich geht, ansonsten sieht er Tag aus Tag ein nur nackte Wände. Er durfte nie Kontakt zu anderen Pferden haben, schließlich war er doch ein unberechenbarer Hengst! Einen Paddock oder Weide gab es nicht, so dass er nie die Möglichkeit hatte, sich einfach mal frei zu bewegen, sich auszutoben, entspannt zu wälzen oder gar mit Artgenossen zu spielen oder sich zu kraulen. Folglich hatte er jeden Tag 23 Stunden Langeweile pur! Ist es da ein Wunder, das ein Herdentier, dass von Natur aus den ganzen Tag mit der Herde in Bewegung ist, aggressiv wird? Ich glaube nein! Lummi kam zwar jeden Tag, putzte ihn kurz über, legte den Sattel auf und ritt eine Stunde in der Halle. Anschließend kam er zurück in die Box, wo wieder 23 Stunde Langeweile auf ihn lauerten.

Auch als die Wunden seiner Kastration verheilt waren, behielt ich es bei, täglich stundenlange Spaziergänge mit ihm zu unternehmen, grasen zu gehen und auch mal in Kontakt mit anderen Pferden zu treten.

Enni wurde immer ruhiger, freundlicher und ausgeglichener. Nach kurzer Zeit erkannte er mich schon am Schritt und führte einen lautstarken Freudentanz in seiner Box auf, wenn ich mich dem Stall näherte - endlich kommst du und befreist mich aus meinem Verließ und erlöst mich von meiner Langenweile! Los, laß uns was machen, spazieren gehen, spielen, toben, schmusen, kuscheln, grasen, uns die Welt anschauen - ich bin zu allem bereit!

Ich glaube, dass seine Verhaltensänderung um 180° nicht vorrangig durch seine Kastration ausgelöst wurde, in seinem Alter erreicht man durch solche Maßnahmen keine grundlegenden Veränderungen mehr. Nein, ich bin davon überzeugt, das er durch die Beschäftigung, die ich ihm täglich anbot, so ausgeglichen, ruhig, friedlich und freundlich geworden ist. Nach einiger Zeit fing ich an, mich bei unseren Spaziergängen auch mal auf seinen Rücken zusetzen - ohne Sattel und ohne Trense, versteht sich! Er ließ sich problemlos von mir nur mir Halfter reiten, und das bestimmt nicht, weil ich die Reitkunst so gut beherrsche, sondern weil er einfach nichts dagegen hatte, mich zu tragen.

So verging eine wunderschöne Zeit, in der Vertrauen und Freundschaft stetig wuchsen. Bis, ja, bis Lummi die Entwicklung ihrers Pferdes immer deutlicher wahrnahm. Sie war von der Veränderung des gefährlichen Hengstes zum friedvollem Lämmchen gar nicht begeistert. Schließlich hatte sie sich doch einen wilden Hengst gekauft, suchte hierin der Herausforderung und Bestätigung ihn besiegen zu können und nun war plötzlich gar nichts mehr zum kämpfen da! Woher sollte sie nun ihren Sieg, ihre Befriedigung nehmen? Lummi hatte also keine Wahl, sie musste sich eine neue Herausforderung suchen.

Heute, über 17 Jahre später, wird mir erst bewusst, dass ich sie durch mein Verhalten dazu getrieben habe. Sie fing also an, ihren Jockeyschein zu machen - eine neue Aufgabe, einen neue Herausforderung. Devon Ennis war für ihre Bedürfnisse nach Bestätigung, Kampf und Sieg unbrauchbar geworden. Für sie war er nur noch nützlich, um sich auf den Jockeyschein vorzubereiten, cantern zu üben.

Leider war Devon Ennis für solche Anforderungen rein körperlich nicht mehr in der Lage. Durch den jahrelangen harten Sport als Jagdrennpferd waren seine Sehnen verschlissen. Sie wurden ihm schon vor Jahren gebrannt, eine Maßnahme, die man nur einmal durchführen kann, um die ausgeleierten Sehnen wieder zu verkürzen. Er hatte schon immer der Veranlagung zur Hufrolle und durch das tägliche Galopptraining im tiefen Sandboden mit schon gebrannten Sehnen, brach die Rolle dann sehr schnell und massiv aus.

Enni hatte von Tag zu Tag mehr Schmerzen und lahmte stärker, aber Lummi dachte werden daran aufzuhören noch ihn zu verkaufen. Das wäre auch nicht gerade wirtschaftlich gewesen, denn für Enni hätte sie kein Geld mehr bekommen.

Ich habe mich unvorstellbar schlecht gefühlt, denn ich musste tatenlos zusehen. Damals war ich 16 Jahre jung und hatte gerade mit der Ausbildung begonnen. Früher waren die Ausbildungsgehälter noch nicht so üppig wie heute, Netto blieben mir keine 400,- DM im Monat. Meine Eltern hätten mich nicht unterstützt, im Gegenteil sie verboten mir ausdrücklich, Enni zu kaufen.

Der Tierarzt sagte damals, dass einzige, dass Enni helfen könnte, wäre sofortiges beenden des Galopptrainings, statt dessen ruhige Spaziergänge und viel schwimmen. Also gingen wir zum nächsten See. Eine Stunde Fußmarsch brauchten wir dafür schon. Dann planschten und paddelten wir für eine weitere Stunde im Wasser herum und machten uns dann auf den Rückweg.

Diese Maßnahme war also sehr zeitaufwendig, und da Lummi nicht aufhörte, ihn zu cantern auch völlig sinnlos. Weiter machtlos zuzusehen konnte ich aber auch nicht, denn sein Leiden mitanzusehen brach mir das Herz. Ich sah damals keine andere Möglichkeit als zu fliehen. Ich überlies Enni seinem Schicksal und betrat zwei Jahre lang keinen Pferdestall mehr.

Lummi jagte Devon Ennis noch so lange, bis er gar nicht mehr gehen konnte und zum Schlachter kam. Da sie Enni beim Kauf sehr hoch versichert hatte, kassierte sie so wenigstens noch die Versicherungsprämie.